II.1.2. Preis- und Wechselkursstabilität

Preisstabilität -- In den Grundzügen von 1995 wurde das 1993 und 1994 gesetzte Ziel einer Inflationsrate von höchstens 2 bis 3 % als Schritt in Richtung Preisstabilität, bekräftigt. Weiter hieß es, daß dieses Ziel 1996 voraussichtlich in den meisten Mitgliedstaaten erreicht werden würde.

Die Inflation in der Gemeinschaft geht seit 1991 stetig zurück. Die Wachstumsrate des Deflators des privaten Verbrauchs sank von etwa 5½ % auf gut 3 % im vergangenen Jahr, wobei die meisten Mitgliedstaaten das Inflationsziel bereits 1995 erreichten. Was die bisherige Inflationsentwicklung im Jahr 1996 anbelangt, so lag die Verbraucherpreisinflation in der Gemeinschaft, gemessen am 12-Monats-Durchschnitt der jahresdurchschnittlichen Veränderung der vorläufigen harmonisierten Verbraucherpreisindizes [Fußtnote 3] im März dieses Jahres bei 2,9 %. In zehn Mitgliedstaaten lag die Inflation innerhalb des in den Grundzügen genannten Zielkorridors, in den meisten davon sogar unter 2 %. Im Vereinigten Königreich war die Inflationsrate nahe bei 3 %. Von den übrigen Mitgliedstaaten ist Portugal dem Zielkorridor in den letzten Monaten relativ nahegekommen. In Spanien und Italien geht die Inflation sichtbar zurück, nachdem sie durch die kombinierte Wirkung der Währungsabwertung und der Erhöhungen der indirekten Steuern im vergangenen Jahr kurzfristig aufgeflackert war. Schließlich wurden im vergangenen Jahr in Griechenland weitere merkliche Fortschritte erzielt, doch scheint der Desinflationsprozeß in den letzten Monaten an Schwung verloren zu haben. Diese Entwicklung geht jedoch auf externe Faktoren zurück.

Diese vergleichsweise ermutigende Inflationsentwicklung seit Verabschiedung der Grundzüge spiegelt das Zusammenwirken mehrerer Kräfte wider. Dazu gehören nicht nur die anhaltende und sogar wachsende negative Produktionslücke und die gedämpfte Rohstoffpreisentwicklung, sondern auch strukturelle Verbesserungen in Bereichen wie Unabhängigkeit der Zentralbank, Lohnentwicklung und Wettbewerb. Der beachtliche Erfolg mehrerer Mitgliedstaaten bei der Rückführung der Inflation und die angemessenen Schritte der Währungsbehörden in Ländern mit abwertenden Währungen haben die Glaubwürdigkeit der Anti-Inflationspolitik erhöht. Die Lohnentwicklung verlief im vergangenen Jahr vergleichsweise maßvoll und entsprach in den

meisten Mitgliedstaaten in etwa dem Preisanstieg. In der Gemeinschaft insgesamt beschleunigte sich der Anstieg der Nominallöhne je Beschäftigten leicht auf 3½ %. Im Zeitraum 1991-93 hingegen lag der jährliche durchschnittliche Lohnanstieg bei nahezu 6 %. Die realen Lohnstückkosten trugen zu der Verbesserung der Rentabilität bei: In den meisten Mitgliedstaaten gingen sie um etwa 1 % oder mehr zurück und in der Gemeinschaft insgesamt um 1,3 %, so daß die Empfehlungen der Grundzüge eingehalten wurden.

Tabelle 3

Inflationsentwicklung

(Veränderung in % p.a.)

Deflator des privaten Verbrauchs
Nominallöhne je Beschäftigten
Reale Lohnstückkosten
1993
1994
1995
1993
1994
1995
1993
1994
1995
B

3.1

3.0

1.5

3.3

4.8

1.9

-0.4

-0.7

-1.5

DK

0.3

1.7

1.8

1.6

3.6

3.3

-1.5

-3.0

0.5

D

3.9

2.7

2.0

4.3

3.2

3.8

-0.1

-2.6

-0.7

GR

13.7

10.8

9.3

10.1

11.9

12.5

-0.4

1.3

1.9

E

5.5

4.9

4.6

6.5

3.1

2.4

-0.5

-3.4

-2.6

F

2.2

1.8

1.6

2.2

2.1

2.4

0.1

-1.9

-0.3

IRL

1.7

2.7

2.5

4.9

3.2

3.1

-1.7

-2.0

-2.6

I

5.4

4.6

5.7

3.7

3.0

5.2

-2.4

-4.0

-3.1

L

7.0

2.4

2.0

5.2

3.4

3.9

-2.6

-0.9

-0.8

NL

2.3

2.4

1.1

3.1

2.3

3.0

0.6

-2.5

-0.1

A

3.4

3.0

2.2

4.6

3.1

3.8

0.3

0.6

-0.3

P

7.1

5.2

4.2

9.1

5.2

4.6

0.8

-1.4

-3.5

FIN

4.2

1.3

1.1

1.0

3.5

5.3

-6.6

-2.9

-0.4

S

5.7

3.1

2.7

4.4

5.4

3.0

-1.4

-1.1

-2.4

UK

3.5

2.5

2.6

4.3

3.5

3.1

-2.6

-2.4

-1.0

EUR

4.1

3.2

3.0

4.0

3.2

3.5

-1.0

-2.5

-1.3

Quelle: Vorausschätzungen der Kommission vom Frühjahr 1996.

In einigen Ländern war die Lohnentwicklung allerdings enttäuschend, und zwar nicht nur dort, wo die Inflationsrückführung noch nicht abgeschlossen ist, sondern beispielsweise auch in Deutschland, wo die Tarifabschlüsse im Vergleich zu dem erklärten Inflationsziel der Währungsbehörden relativ hoch ausfielen. Zusammen mit der Aufwertung der D-Mark trugen diese Tarifabschlüsse zu einer Aushöhlung der Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität der dem internationalen Wettbewerb ausgesetzten Sektoren bei. In Italien beschleunigte sich der Lohnkostenanstieg 1995, lag jedoch weiterhin leicht unterhalb der Inflationsrate. Es ist weiterhin Wachsamkeit geboten, um eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern, die - wenn sie nicht rechtzeitig gestoppt wird - das Erreichen von Preisstabilität in Zukunft erschweren würde. In Finnland stiegen die Löhne 1995 sowohl nominal als auch real deutlich an. Aufgrund des gemäßigten 2-Jahres-Lohnabschlusses wird der Anstieg der Löhne und Gehälter 1996 und 1997 jedoch deutlich zurückgehen.

Wechselkursstabilität -- Nach den Wechselkursturbulenzen vom Frühjahr 1995 kehrte in den Monaten bis September 1995 langsam wieder weitgehende Stabilität ein. Ausschlaggebend hierfür waren unter anderem die Festigung des US-Dollar in den Monaten bis August, eine geldpolitische Lockerung der Bundesbank im März und verstärkte Konsolidierungsanstrengungen in mehreren

Mitgliedstaaten. Diese günstige Entwicklung wurde im September bis zu einem gewissen Grade durch neuerliche Wechselkursausschläge zwischen den europäischen Währungen unterbrochen. Diese erneuten Spannungen waren unter anderem auf eine neuerliche Dollarschwäche und besondere wirtschaftliche und politische Faktoren in einer Reihe von Mitgliedstaaten zurückzuführen, die mit wiederauflebenden Bedenken hinsichtlich der Aussichten für die WWU in Zusammenhang standen. Trotz dieser Unterbrechung ist allerdings inzwischen wieder Ruhe auf den Märkten eingekehrt. Die Währungsbewegungen von 1994-1995 wurden in den ersten Monaten dieses Jahres weitgehend wieder umgekehrt.

Die Währungen Griechenlands, Italiens und des Vereinigten Königreichs nehmen weiterhin nicht am EWS-Wechselkursmechanismus teil. Von den drei neuen Mitgliedstaaten trat nur Österreich dem Wechselkursmechanismus Anfang 1995 bei.

Die Entwicklung der kurz- und langfristigen Zinsen im Jahr 1995 spiegelte teilweise die Spannungen an den Devisenmärkten wider. Die Bundesbank nahm die Leitzinsen im vergangenen Jahr aufgrund des langsamen Geldmengenwachstums und der besseren Inflationsaussichten in Deutschland dreimal zurück und gab den meisten anderen Mitgliedstaaten damit den notwendigen Spielraum, um nachzuziehen. Nachdem sich das Gefälle bei den kurzfristigen Zinsen gegenüber Deutschland inmitten der Wechselkursspannungen vom Frühjahr drastisch vergrößert hatte, flachte es sich im Verlauf des Jahres in den meisten Mitgliedstaaten wieder ab. Das Tempo dieser Abflachung fiel von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich aus und spiegelt zumeist die jeweilige Wechselkursentwicklung gegenüber der D-Mark wider. Signifikante Zinsgefälle bestehen weiterhin in mehreren Mitgliedstaaten, bei denen die Finanzmärkte weiterhin Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Inflationsbekämpfung bzw. der Haushaltspolitik hegen.

Am langen Ende des Markts kehrte sich der stetige Rückgang der Zinssätze im Jahr 1995 (nach dem Anstieg von 1994) in den ersten Monaten dieses Jahres drastisch um. Der jüngste Zinsanstieg in der gesamten Gemeinschaft spiegelt vor allem die Nebenwirkungen der Entwicklung in den Vereinigten Staaten wider, wo eine geldpolitische Straffung durch die Federal Reserve aufgrund der lebhaften Konjunktur nun als wahrscheinlicher eingeschätzt wird. Wie am kurzen Ende, flachte sich das Zinsgefälle zwischen Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten generell auch bei den langfristigen Zinsen tendenziell ab, auch wenn es in einigen Mitgliedstaaten, in denen die Glaubhaftigkeit des Wechselkurses weiterhin eng mit der Inflations- bzw. Haushaltsentwicklung verbunden ist, weiterhin sehr groß ist.


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