II. BEGRÜNDUNG

II.1.Fortschrittsbericht über die Umsetzung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik von 1995

II.1.1. Einleitung

Entsprechend dem Maastrichter Vertrag wurden im Dezember 1993, Juli 1994 und Juli 1995 Grundzüge der Wirtschaftspolitik verabschiedet. Nach entsprechenden Aufträgen des Europäischen Rats wurde die Umsetzung der Grundzüge von 1993 im Dezember 1994 überprüft. Die Umsetzung der Grundzüge von 1994 wurde zweimal - im Dezember 1994 und im Juni 1995 - überprüft.

Im vorliegenden Dokument werden auf Anfrage des Europäischen Rats von Cannes die Fortschritte bei der Umsetzung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik von 1995 [Fußtnote 2] seit ihrer Verabschiedung durch den EcoFin-Rat im Juli 1995 untersucht. Um das Überwachungsverfahren zu straffen und gleichzeitig die notwendigen Informationen und Analysen für die Verabschiedung der neuen Grundzüge vorzulegen, wird die Bewertung der früheren Grundzüge fortan integraler Bestandteil der Begründung der Kommission sein. Eine solche Bewertung ist ein wirksamer Gradmesser für das Engagement der einzelnen Mitgliedstaaten für gemeinsame politische Verpflichtungen. Angesichts der mittelfristigen Orientierung der Wirtschaftspolitik wird in diesem Bericht die Entwicklung seit Verabschiedung der Empfehlung für die ersten Grundzüge von 1993 untersucht.

Die in den Grundzügen von 1995 aufgeworfenen politischen Fragen wurden zu einer Zeit behandelt, als der in der zweiten Jahreshälfte 1993 einsetzende Wirtschaftsaufschwung offenbar festen Tritt gefaßt hatte. Das Tempo und die Zusammensetzung des Wirtschaftswachstums im Jahr 1994 hatten Anlaß zu der optimistischen Erwartung gegeben, daß sowohl 1995 als auch 1996 Wachstumsraten von etwa 3 % erzielt werden könnten.

Seither hat sich das Wirtschaftswachstum allerdings merklich verlangsamt. Der Jahreswirtschaftsbericht 1996 der Kommission enthält eine ausführliche Analyse der für diese Abschwächung ausschlaggebenden Faktoren, die hier nur in den wichtigsten Punkten zusammengefaßt wird. Die im überwiegenden Verlauf von 1994 (auf Jahresrate hochgerechnet) bei 3 ½ bis 4 % liegenden vierteljährlichen BIP-Wachstumsraten schwächten sich im zweiten und dritten Quartal 1995 auf etwa 2 % ab und stagnierten praktisch im letzten Quartal 1995. Dieses unerwartet geringe Wirtschaftswachstum schlug sich in einer ungünstigen Arbeitsmarktentwicklung nieder. Der verhaltene Anstieg der Gesamtbeschäftigung in der

Gemeinschaft seit Mitte 1994 kam gegen Ende 1995 zum Stillstand. Insbesondere in Ländern, deren Wettbewerbsposition sich durch die Wechselkurskrise vom Frühjahr 1995 besonders stark verschlechtert hatte, wurden die Beschäftigungstrends deutlich negativ. Doch auch in einigen anderen Ländern wurde der Beschäftigungsanstieg durch die Konjunkturabschwächung gestoppt. Insgesamt stieg die Beschäftigung im vergangenen Jahr in der Gemeinschaft nur um schätzungsweise ½ %.

Tabelle 1

Nominalzinsen

(in Prozent)

Dez. 1993
Dez. 1994
April 1995
Jan. 1996
April 1996
Dez. 1993
Dez. 1994
April 1995
Jan. 1996
April 1996
Kurzfristig¹
Langfristig²
B

7.2

5.4

5.3

3.6

3.3

6.6

8.3

7.9

6.5

6.7

DK

7.3

6.2

6.9

4.4

4.0

6.2

8.8

8.8

7.0

7.3

D

6.1

5.3

4.6

3.5

3.3

5.7

7.5

7.1

5.9

6.4

GR

19.9

17.9

17.2

14.6

14.1

:

:

:

:

:

E

8.9

8.2

9.4

8.9

7.8

8.3

11.5

12.1

9.5

9.3

F

6.5

5.9

7.7

4.7

3.9

5.8

8.1

7.8

6.5

6.5

IRL

6.3

6.3

6.8

5.4

5.1

:

8.6

8.7

7.2

7.6

I

8.6

9.0

10.8

9.9

9.4

8.8

11.9

13.0

10.2

10.1

NL

5.6

5.4

4.7

3.3

2.9

5.7

7.6

7.2

5.9

6.4

A

5.8

4.8

4.5

3.7

3.0

:

7.6

7.4

6.2

6.5

P

11.7

10.5

10.8

8.5

7.6

9.0

11.5

12.1

9.4

9.2

FIN

5.9

5.7

6.0

4.2

3.9

:

10.3

9.4

7.0

7.5

S

7.7

8.2

8.9

8.4

6.6

:

10.7

11.5

8.3

8.4

UK

5.3

6.4

6.7

6.4

6.0

6.3

8.5

8.4

7.4

8.1

EUR

6.9

6.6

7.2

5.8

5.3

(6.8)

(9.0)

(8.9)

7.3

7.6

¹ Dreimonats-Geldmarktzinsen.

² Rendite 10jähriger Benchmark-Anleihen, außer für EUR bis April 1995: durchschnittliche Rendite von Staatsanleihen.

Quelle: Vorausschätzungen der Kommission vom Frühjahr 1996.

Abgesehen davon, daß der anfänglich von der Lagerauffüllung ausgehende Impuls verebbte, war die deutliche Konjunkturabschwächung im Jahr 1995 im wesentlichen auf zwei nachteilige Entwicklungen an den Finanzmärkten zurückzuführen. Erstens scheint der im Laufe des Jahres 1994 verzeichnete merkliche Anstieg der langfristigen Zinsen an den Finanzmärkten weltweit und in der Gemeinschaft die Ausgabenentscheidungen der Unternehmen und privaten Haushalte 1995 stärker gedämpft zu haben, als erwartet worden war. Der Renditeanstieg unterschied sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat beträchtlich und spiegelte u.a. die jeweilige Wirtschaftsentwicklung, Wirtschaftspolitik und Glaubwürdigkeit wider. So stiegen die langfristigen Zinsen insbesondere in jenen Ländern deutlich steiler, die ihre öffentlichen Defizite und ihren Schuldenstand nach Einschätzung der Märkte noch nicht auf einen eindeutig tragfähigen Abwärtskurs gebracht hatten.

Zweitens - und dies wiegt möglicherweise schwerer - wirkten sich die Währungsturbulenzen vom Frühjahr 1995 erheblich auf die Wirtschaft sowohl der Aufwertungs- als auch der Abwertungsländer aus. Ausgelöst wurden diese Turbulenzen durch eine merkliche Schwäche des US-Dollar im Gefolge der Krise des mexikanischen Peso. Die nachfolgenden starken und abrupten Wechselkursbewegungen zwischen den EG-Währungen spiegeln jedoch offenbar das tieferliegende, eigentliche Problem der mangelnden Glaubwürdigkeit der nationalen Konsolidierungspläne und Strukturreformen bzw. die empfundene Gefahr neuerlicher inflationärer Spannungen in einzelnen Mitgliedstaaten wider. In Deutschland und den Ländern mit einer engen Währungsbindung an die DM führte die Aufwertung des Wechselkurses - trotz nachgebender kurzfristiger Zinsen - insgesamt zu einer beträchtlichen Straffung der monetären Bedingungen sowie einer Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit und der Rentabilität der Industrie. Dies wiederum wirkte sich auf die Investitionen aus und führte zu einem merklichen Vertrauensschwund bei den Unternehmern. In Ländern dagegen, deren Währungen erheblich abwerteten, wurde die kurzfristig belebende Wirkung auf die Exportmarktanteile durch das langsamere Wachstum der Exportmärkte, steigende Zinsen und die Aushöhlung der Konsumentenkaufkraft durch die höhere Inflation auf dem Inlandsmarkt teilweise wieder aufgehoben. Auf Gemeinschaftsebene können starke und plötzliche innergemeinschaftliche Wechselkursbewegungen überdies das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts gefährden, da sie unweigerlich zu Problemen bei der Ressourcenallokation führen.

Tabelle 2

Nominale effektive Wechselkurse

Index, August 1992=100

Dez. 1993
Dez. 1994
April 1995
Jan. 1996
Mär. 1996
B

99.9

103.3

107.9

105.9

104.6

DK

100.5

102.2

107.2

106.8

105.4

D

100.8

103.1

109.3

106.7

104.9

GR

87.5

82.9

82.9

80.2

80.9

E

78.4

78.2

77.1

80.6

80.2

F

100.9

102.4

106.3

106.7

106.0

IRL

92.8

94.5

93.3

94.3

94.6

I

75.1

72.7

63.2

71.8

73.9

NL

102.6

104.3

109.0

107.0

105.8

A

101.5

102.8

107.3

105.5

104.2

P

87.2

88.3

90.2

89.6

89.3

FIN

82.5

91.5

95.8

95.8

91.1

S

74.6

77.5

73.0

83.2

84.8

UK

88.7

87.1

83.2

82.1

82.4

EUR

78.2

80.2

80.4

84.6

83.6

Quelle: Kommission.

Die oben geschilderten Entwicklungen zeigen, daß die wirtschaftspolitische Koordinierung auf internationaler Ebene verstärkt werden muß. Sie machen außerdem die negativen Auswirkungen auf das Wachstum, die Beschäftigung und das Vertrauen deutlich, die durch unzureichende Maßnahmen in jenen - unmittelbar in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegenden - Politikbereichen entstehen, die für einen ausgewogeneren Policy-Mix entsprechend den Empfehlungen der wirtschaftspolitischen Grundzüge von 1995 notwendig sind.

Der folgende Fortschrittsbericht ist in jene vier Bereiche aufgegliedert, die der Rat in seiner Empfehlung genannt hat: Preis- und Wechselkursstabilität, gesunde öffentliche Finanzen, Wettbewerbsfähigkeit sowie Beschäftigung und Arbeitsmarkt.


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