I. Grundzüge der Wirtschaftspolitik
für die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten

I.1. Hauptziele und allgemeine Grundzüge der Wirtschaftspolitik

Entgegen den bei der Verabschiedung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik von 1995 herrschenden Erwartungen schwächte sich die Wirtschaftstätigkeit in der Gemeinschaft in den letzten zwölf Monaten merklich ab, und die Arbeitslosigkeit stieg erneut an. Während die Inflation in etwa wie erwartet zurückging und sich die Konvergenz der Preise verstärkte, setzte sich die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen nur mit unzureichendem Tempo fort und wurde durch den Konjunkturabschwung erschwert.

Infolgedessen erzielte die Gemeinschaft bei der Verwirklichung der in Artikel 2 des Vertrags genannten wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele - Förderung eines dauerhaften, nicht-inflationären Wachstums und eines hohen Beschäftigungsstands - keine merklichen Fortschritte. Das Ausbleiben einer Verringerung der Diskrepanz zwischen dem Ziel und der tatsächlichen wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrtssteigerung ist der Hauptgrund für die derzeit weniger zuversichtliche Stimmung.

Dennoch verfügt die Gemeinschaft über günstige volkswirtschaftliche Fundamentalfaktoren. Die Inflation befindet sich auf einem historisch niedrigen Wert und ist unter Kontrolle, die Zinsen fallen, die Wechselkurse stimmen zunehmend mit den zugrundeliegenden Bedingungen überein, der Welthandel expandiert und die Investitionsrentabilität, die wesentlich über den Werten für die zweite Hälfte der achtziger Jahre liegt, verbesserte sich insgesamt. Dennoch verhinderten der Anstieg der langfristigen Zinsen von 1994, die Währungsunruhen vom Frühjahr 1995, die anhaltende Strukturschwäche und das abnehmende Vertrauen, daß die eigentlich günstige volkswirtschaftliche Grundlage sich 1995 und Anfang 1996 auswirken konnte. Für die zweite Hälfte dieses Jahres wird erwartet, daß die schwindende Bedeutung der beiden ersten Faktoren, in Verbindung mit dem Abschluß des Abbaus der Lagerbestände, einen Aufschwung der Wirtschaftsaktivität bewirken wird. Wie schnell diese Erholung sich vollzieht hängt hauptsächlich davon ab, in welchen Ausmaß der Policy-Mix fördernd für eine Wachstumsstärkung und für die Wiederherstellung des Vertrauens sein kann. Diese Erholung sollte vollständig genutzt werden, um die notwendige Konvergenz zu erreichen und somit den erfolgreichen Übergang zur Wirtschafts- und Währungsunion zum 1. Januar 1999 zu sichern.

Um eine solche Herausforderung zu meistern, ist eine makroökonomische Politik, die auf Wachstum und Stabilität abzielt, erforderlich. Geeignete strukturelle Maßnahmen in den Güter- und Dienstleistungsmärkten und im Bereich der Reform des Arbeitsmarktes sollten eine anhaltende Entspannung des makroökonomischen Policy-Mix begleiten und deren positive Auswirkungen verstärken.

Im wesentlichen bestätigen und unterstreichen die vorliegenden Grundzüge die politischen Empfehlungen der Vorjahre. Wenn diese Strategie bisher für die Gemeinschaft insgesamt noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse erbracht hat, so liegt dies an einem Mangel an Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit bei ihrer Umsetzung. Alle Beteiligten sind daher aufgefordert, ihre Wirtschaftspolitiken so auszurichten, daß sie zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft beitragen (Art. 102a des Vertrages); somit würde die seit mehr als zwei Jahren angekündigte Strategie in die Tat umgesetzt und die Wirtschaftspolitik besser koordiniert. Letzteres ist nicht nur eine sich aus dem Vertrag ergebende Verpflichtung (Art. 3a), sondern auch - angesichts der zunehmenden Integration der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten - eine praktische Notwendigkeit.

Es muß unterstrichen werden, daß diese Grundzüge der Wirtschaftspolitik nicht alleine auf den Analysen des Jahreswirtschaftsbericht 1996 der Kommission beruhen, sondern auch die dazu abgegebenen Stellungnahmen des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses berücksichtigen.


[Index][Next]